- Stewart: Blondes have more Fun
- Stewart: Blondes have more FunRod Stewart wurde am 10. Januar 1945 in London geboren. 1999 blickte er auf eine 35-jährige Karriere zurück, die ihn von der tristen Arbeitersiedlung Highgate in die VIP-Lounges des internationalen Jetset geführt hat. Der Multimillionär kokettiert noch heute gern mit seiner proletarischen Herkunft und gefällt sich in der Pose des trinkfesten Machos, dem Blondinen zu Füßen liegen, die seine Enkelinnen sein könnten. Musikalisch ist der Sänger, dessen unverwechselbare Stimme an eine paradoxe Mischung aus Samt und Schleifstein erinnert, in fast allen Stilrichtungen zwischen Kuschel- und Hardrock zu Hause. In seiner Interpretation werden seichte Schmachtfetzen wie »Sailing« ebenso zu Klassikern wie zweitklassige Stones-Imitationen à la »Hot legs«. Wie ein moderner Midas verwandelt er, trotz gelegentlicher Ausrutscher, immer wieder durchschnittliche Eigen- und Fremdkompositionen in goldene Schallplatten und beweist damit noch immer die alte Rock-«n «-Roll-Regel: »it's the singer, not the song.«Lehr- und WanderjahreRoderick David Stewarts Hauptinteresse galt als Jugendlicher dem Fußball, und er unterschrieb 1961 einen Vorvertrag beim Zweitligisten FC Brentford. Dass aus der Profikarriere nichts wurde, lag nicht zuletzt daran, dass er zwar die Körpergröße, jedoch nicht das Talent eines Thomas Häßler besaß. Er schlug sich mit Gelegenheitsjobs als Totengräber und Schildermaler durch und trampte mit der Gitarre durch Europa, bis er aus Spanien wegen Vagabundierens ausgewiesen wurde. Zwischen 1963 und 1968 gehörte er als Sänger und Harmonikaspieler zu den Rhythm-and-Blues-Gruppen Five Dimensions, Hoochie Coochie Men, Steampacket und Shotgun Express und veröffentlichte unter eigenem Namen vier erfolglose Singles, die alle klangen, als wolle er Tom Jones Konkurrenz machen. Größere Aufmerksamkeit erregte seine Reibeisenstimme erst, als er 1968 Sänger der Jeff Beck Group wurde und auf deren exzellenten LPs »Truth« und »Beck-Ola« den Chef in den Schatten zu stellen drohte. Als 1969 die Small Faces Ersatz für Steve Marriott suchten, stiegen Stewart und der ebenfalls bei Beck angestellte Ron Wood ein und hatten, nunmehr als The Faces, besonders in den Vereinigten Staaten großen Erfolg als typische Siebzigerjahre-Good-Time-Boogie-Band mit Hits wie »Stay with me« und »Cindy incidentally«. Seine Solokarriere verlor Stewart jedoch nie aus den Augen. Noch im Gründungsjahr der Faces erschien mit »An old raincoat won't ever let you down« sein erstes Soloalbum, dem 1970 »Gasoline alley« folgte. Obwohl beiden Platten damals nur mäßiger Erfolg beschieden war, gelten sie als seine besten, und er demonstrierte hier schon sein zukünftiges Erfolgsrezept, eigene Songs mit Rock- und Soulklassikern zu mischen und ab und an Titel von unterschätzten Komponisten wie Mike d«Abo oder dem damals noch weitgehend unbekannten Elton John einzufügen. Auf »Dirty old town« und der fabelhaften eigenen Nummer »Gasoline alley« demonstrierte Stewart zudem, dass eine seiner Wurzeln der schottische Folk ist.Durchbruch und Aufstieg zum WeltstarDer große Durchbruch kam für Stewart mit »Every picture tells a story«, einer LP, die sich von den Vorgängern kaum unterschied, aber mit der ausgekoppelten Single »Maggie May« den größten Hit des Jahres 1971 lieferte. Rod Stewart wurde mit der selbst verfassten Moritat vom Jüngling, der sich am Ende der Schulferien aus den Armen seiner Sommerliebe befreien muss, welche altersmäßig seine Mutter sein könnte, über Nacht zum ersten Künstler, der gleichzeitig in den USA und in England Platz eins der Single- und LP-Charts belegte. Er legte dann mit »Never a dull moment« ein Album nach, das trotz seines selbstbewussten Titels das altbewährte Strickmuster allmählich überstrapazierte, sich aber dennoch phänomenal verkaufte und mit »You wear it well« eine weitere Nummer eins beinhaltete. Der ständige Spagat zwischen den Anforderungen einer Solokarriere und den Verpflichtungen seiner Band gegenüber führte zu Konflikten, die sich verschärften durch den Umstand, dass Stewart bei Mercury, die Faces dagegen bei Warner Brothers unter Vertrag standen. Als 1973 statt eines neuen Soloalbums nur die Zusammenstellung alten Materials »Sing it again, Rod« zustande kam und »Smiler« 1974 künstlerisch und kommerziell zum herben Rückschlag geriet, zog sich Stewart nach der vierten Faces-LP »Oohlala«, die sich zwar gut verkaufte, musikalisch jedoch nur noch einen müden Abklatsch glorreicher Tage bot, von der Band zurück, deren endgültiges Ende kam, als Ron Wood kurz darauf bei den Rolling Stones einstieg.Atlantic-Crossing: Aufbruch in die StaatenDie 1975 als Aufbruch zu neuen musikalischen Ufern verbrämte Übersiedlung in die USA hatte vornehmlich fiskalische Gründe, tat dem in eine Sackgasse geratenen Steuerflüchtling jedoch auch künstlerisch gut, wie er mit der in den berühmten Muscle Shoals Studios in Alabama produzierten LP »Atlantic crossing« bewies. Hier ließ er sich u. a. von Soulveteranen wie den Memphis Horns und den M.G.'s — allerdings ohne Booker T. — begleiten. Stewart, der die meisten Hits mit melancholischen Balladen hatte, fuhr dann mit »Sailing« den größten Hit seit »Maggie May« ein. Mindestens so viele Schlagzeilen wie sein musikalischer Erfolg brachte ihm in diesem Jahr die turbulente Lebensgemeinschaft mit dem schwedischen Bond-Girl Britt Ekland ein. Dem mit dem Produzenten Tom Dowd entwickelten Erfolgsmodell von »Atlantic crossing« blieb Stewart bis in die 80er-Jahre treu. Neben seiner festen Band verpflichtete er fürs Studio Veteranen wie Joe Walsh, David Lindley, Nicky Hopkins oder John Mayall und nahm einen Hit nach dem anderen auf. »Tonight's the night«, »The killing of Georgie«, »I don't want to talk about it«, »The first cut is the deepest«, »You»re in my heart«, »Hot legs«, »I was only joking«, »Ole ola«, »Ain»t love a bitch« — Rod Stewart konnte offensichtlich nichts falsch machen, und selbst das wegen seines Discosounds untypische (und nicht ganz unpeinliche) »Do ya think I«m sexy« wurde zum Charttopper beiderseits des Atlantiks. Die Alben »A night on the town« (1976), »Foot loose and fancy free« (1977) und »Blondes have more fun« (1978) boten den gewohnt gepflegten Mainstreampop auf Rock- und Soulbasis, »Greatest hits« (1979) fasste eben diese noch einmal zusammen. Obwohl auch Stewart dem sich wandelnden Zeitgeist kleinere Zugeständnisse nicht verweigerte, schien ihm die New-Wave-Konkurrenz, die anderen etablierten Acts schwer zu schaffen machte, nichts anhaben zu können. Privates Glück fand er bei Alana Hamilton, die er nach seiner Trennung von Britt Ekland 1979 heiratete.Die AchtzigerjahreDass selbst ein Weltstar seinen Fans nicht endlose Selbstzitate zumuten sollte, zeigte sich, als »Foolish behaviour« 1980 nur sehr mäßigen Umsatz erzielte und keinen nennenswerten Hit vorweisen konnte. Etwas bessere Quoten erreichten »Tonight I«m yours« (1981) und die ausgekoppelte Single »Young turks«, doch erst mit »Absolutely live« (1982) zeigte er, was er als Entertainer auf der Bühne noch immer zu bieten hatte. 1983 folgte das Album »Body wishes« mit dem Hit »Baby Jane«, ein Jahr später das bis auf »Infatuation« und »Some guys have all the luck« weniger bedeutende »Camouflage«. Allmählich machte sich gepflegte Langeweile breit im Schaffen des in die Jahre gekommenen Weltstars, der mittlerweile mit Kelly Emberg zusammenlebte. Einen großen Hit hatte er 1986 wieder mit »Every beat of my heart« vom gleichnamigen Album, das ansonsten nur Durchschnitt bot. Die kreative Stagnation tat seiner weltweiten Popularität jedoch kaum Abbruch, wie er als Headliner des größten Festivals der Welt, Rock in Rio, 1985 bewies. Der Titel des 1988 erschienenen Albums »Out of order« war fast schon programmatisch, wie die ausgekoppelte Single »Forever young«. 1989 veröffentlichte seine Plattenfirma die Retrospektive »Storyteller«, die mehr als sechzig bereits bekannte Titel der vergangenen fünfundzwanzig Jahre versammelte.Stagnation und dritter Frühling1990 ehelichte der mehrfache Vater Stewart Rachel Hunter und sah sich mit immensen Unterhaltsforderungen von Kelly Emberg konfrontiert. Das Studioalbum von 1991, »Vagabond heart«, brachte wenig Neues und verdeutlichte, dass Stewart als Songschreiber kaum noch mehr als Dutzendware zustande brachte. Plötzlich auftretende Heuschnupfenatttacken und dadurch bedingte Konzertabsagen ließen ihn Anfang der 90er-Jahre zum Risikofaktor für Tourneeveranstalter werden, und auch im Studio wurde Stewart nur noch sporadisch gesehen. Während dieser schöpferischen Pause entstanden einige Coverversionen wie »Ruby Tuesday« oder der von Tom Waits unter Bezug auf die australische Ballade »Waltzing Mathilda« verfasste »Tom Trauber«s Blues«, die zusammen mit uralten Aufnahmen aus den Tagen der Faces und der Jeff Beck Group unter dem Titel »Lead vocalist« 1993 erschienen und erstaunlich frisch klangen. Noch besser war die im selben Jahr für MTV entstandene Unplugged-Show, bei der sich Stewart nur von unverstärkten Instrumenten und Streichern begleiten ließ. Die aus dem Fernsehkonzert zusammengestellte CD »Unplugged. .. and seated« zeigte, dass er ohne überladene Arrangements noch immer zu alter Form finden konnte. Sie verkaufte sich besonders in Amerika sehr gut, wo er daraufhin in die Rock 'n' Roll Hall of Fame aufgenommen wurde. Das erstaunlich produktive Jahr 1993 endete mit dem Hit »All for love«, den Stewart zusammen mit Sting und Bryan Adams für den Soundtrack zur Neuverfilmung des Klassikers »Die drei Musketiere« aufnahm. In Anspielung auf John Lennons avantgardistischen Gedichtband »A spaniard in the works« nannte Stewart sein nächstes Album »A spanner in the works«. Da er sich mit eigenen Stücken zunehmend schwer tat, interpretierte er hier vornehmlich unverbrauchte Kompositionen von Kollegen wie Tom Petty, Tom Waits, Bob Dylan und Chris Rea. Mit »Muddy, Sam and Otis« findet sich hier auch eine Hommage an seine früheren Idole Muddy Waters, Sam Cooke und Otis Redding, von denen zumindest die letzten beiden auch stilistische Vorbilder waren. Rod Stewarts bislang letztes Werk hieß 1998 selbstironisch »When we were the new boys« und klang für seine Verhältnisse fast schon revolutionär. Nach eigenen Angaben wollte er damit zurück zu den Wurzeln und wieder so viel Spaß und Spontaneität empfinden wie bei den Aufnahmen zu »Every picture tells a story«. Er stellte eine Band aus jungen, unverbrauchten Musikern zusammen und zeichnete für die Produktion selbst verantwortlich. Statt Soulklassikern der Sechziger wählte er Kompositionen aus von Pubrockern der späten Siebziger wie Nick Lowe und Graham Parker und noch recht aktuelle Titel, die erst vor kurzem von Brit-Pop-Bands wie Oasis, Skunk Anansie und Primal Scream verfasst worden waren. Das Ergebnis klang wie eine Wiedergeburt der Faces. Druckvoll und schnörkellos wurde wieder Rock, Folk und Rhythm and Blues ohne größere Studioverfremdungen zu einer stimmigen Einheit ohne überflüssiges Füllmaterial verschmolzen. In dieser Form scheint Rod Stewart, der seit kurzem wieder Single ist, auch in Zukunft noch mit Überraschungen aufwarten zu können.An old raincoat won't ever let you down (1969)Gasoline alley (1970)Every picture tells a story (1971)Never a dull moment (1972)Smiler (1974)Atlantic crossing (1975)A night on the town (1976)Foot loose ' fancy free (1977)Blondes have more fun (1978)Foolish behaviour (1980)Tonight I'm yours (1981)Absolutely live (1982)Body wishes (1983)Camouflage (1984)Every beat of my heart (1986)Out of order (1988)Vagabond heart (1991)Unplugged. .. and seated (1993)A spanner in the works (1995)When we were the new boys (1998)George Tremlett: Rod Stewart. Aus dem Englischen. München 1979.Tim Ewbank und Stafford Hildred: Rod Stewart, forever young. Rastloses Herz mit rauher Kehle. Aus dem Englischen. Sankt Andrä-Wördern 1994.
Universal-Lexikon. 2012.